© Karin Stöttinger

Hahn im Topf

Hahn ist eine Delikatesse – wäre da nicht der ewige Vergleich mit dem Huhn, der das Fleisch häufig aus den Küchen verbannt. Dabei zeigt vor allem die französische Haute Cuisine seit Jahrzehnten, was aus selbigem kulinarisch herauszuholen ist. Wann kommt bei uns das große Umdenken?

© Karin Stöttinger

Es ist ein Bild, das man aus der Hühnerzucht – zumindest in Österreich – nicht kennt: Marans Hähne, rund 100 an der Zahl aus bis zu vier Generationen, grasen friedlich unter Rebstöcken in den Gumpoldskirchner Weinbergen. „Männer-WG“, nennt es Landwirt Heiko Grohmann, der Hahnenkämpfe auf diese Weise vermeidet. „Mit vier Monaten werden Hähne geschlechtsreif. Dann trennen wir sie von den Hennen. Dadurch reduzieren wir das Testosteron und die Lauffreudigkeit, ohne kastrieren zu müssen. Die ältesten Hähne sorgen für Ruhe. Die Stimmung ist ähnlich wie in einer American Bar, so wie man sie aus Filmen kennt, in der ein paar Typen rumsitzen, jeder seinen Whisky trinkt und keiner ein Wort spricht.“ Für Marans eigentlich ein ungewöhnliches Verhalten. Die Rasse stammt aus dem gleichnamigen Ort im Südwesten Frankreichs nahe der Atlantikküste und aus einer Zeit, in der man auf Schifffahrten zwischen England und Frankreich zum Zeitvertreib Hahnenkämpfe veranstaltete. Die ausrangierten Tiere ließ man in Frankreich zurück, wo sie sich in der Folge paarten. Genau wie Bressehühner zählen Marans heute zu den französischen Edelrassen. Um Kämpfe zu vermeiden, werden die Tiere andernorts jedoch mit zwölf Wochen bei lebendigem Leib kastriert, Kamm und Kehllappen werden abgeschnitten. Anschließend werden die Kapauns, wie sie nun heißen, gemästet. Ihr Fleisch gilt als kulinarisches Nonplusultra.

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Zweinutzungsrasse statt Masthuhn
Durch seine Aufzuchtmethode versucht Heiko Grohmann zwar an die Fleischqualität eines Kapauns heranzukommen, vermeidet dabei allerdings jegliches Tierleid. Hähne wie Hennen leben bei ihm in Weingärten, wo sich die Tiere um die Bodenbearbeitung kümmern und Schädlinge abhalten, indem sie sie fressen. Zusätzlich bekommen die Hähne ein spezielles Biofutter aus Getreide, Kräutern und Ziegenmilch der hofeigenen steirischen Scheckenziege. Die Milch macht das Fleisch zarter und feiner im Geschmack. Grohmann: „Der Hahn ist ein Athlet. Überspitzt gesagt ist die Fleischbeschaffenheit so, als würde man einen Marathonläufer essen. Und genau so gehen wir an das Thema Futter heran: Was braucht der Marathonläufer, damit sein Muskelfleisch weicher wird?“ Geschlachtet werden die Hähne kurz vor der Pubertät mit fünf Monaten. Danach würde das Testosteron das Fleisch stark verändern, das heißt zäher und trockener machen. Grohmanns Marans leben damit fünf Mal länger, als herkömmliche Hybridmasthühner aus industrieller Haltung. Das Schlachtgewicht seiner Hähne liegt bei rund vier Kilo. Zu den Abnehmern zählen unter anderem Georg Stocker vom Landgasthaus Stockerwirt im Wienerwald und Lukas Nagl vom Restaurant Bootshaus am Traunsee. Stocker schmort die Keulen mehrere Stunden in einem Gemüse-Rotweinsaft, bis das Fleisch fast vom Knochen fällt, und serviert sie als Coq au vin mit Kartoffelpüree. Die Brust wird plattiert, mit einer Farce aus Pilzen und Hahnenfleisch gefüllt, zu einer Roulade gerollt und auf Kürbis-Blattspinat-Artischockenrisotto gebettet. Aus den Karkassen macht Stocker eine klare Suppe. Fleischreste werden vom Knochen abgelöst, faschiert in Ravioli aus Fleischstrudelteig gefüllt und diese dann als Suppeneinlage gereicht. „Die Marans sind ein Vorzeigeprodukt. Wenn du Huhn aus Industriebetrieben verwendest, möchtest du am liebsten gar nicht darüber reden und der Konsument nichts davon wissen. Aber bei den Grohmann Hähnen kann ich den Gästen eine Geschichte erzählen, von der ich überzeugt bin und die unserer Philosophie einer unverfälschten, regionalen Küche entspricht“, so Gastronom Georg Stocker, der aber gleichzeitig die wirtschaftliche Seite zu bedenken gibt. Der Kilopreis ist logischerweise ein anderer als der eines Industriehuhns. „So ein Bio-Hahn muss gut kalkuliert werden. Wir verlangen dann natürlich entsprechende Preise, sind aber auch ein großer Betrieb. Ich sehe das als Mischkalkulation.“

Bei Hahn setzt Spitzenkoch Lukas Nagl auf eine langsame Zubereitung.
© Christof Wagner

Lang und langsam
Haubenkoch Lukas Nagl hat die Marans bereits zu Paprikahahn, einer mit Shiso gefüllten und über Holzkohle gegrillten Roulade und zu Piccata mit Parmesan, Ei und Oregano verarbeitet. „Das Fleisch ist sehr muskulös, sehr kollagenhaltig. Man muss sich Zeit nehmen. Hahn ist nicht einfach und Coq au vin nicht umsonst die Königsdisziplin in Frankreich. Und es braucht Aufklärungsarbeitsarbeit am Gast. 99% glauben, dass Hahn wie Huhn schmeckt.“ Hahnenfleisch hat grundsätzlich weniger Fett und ist intensiver im Geschmack. Die Brust ist kleiner, aber die Keulen größer. Ingmar Jaschok, Bio-Landwirt aus Rheinland-Pfalz und Initiator des Hofhuhn-Projekts samt gleichnamigem Blog, plädiert dafür, Hahn wie rotes Fleisch beziehungsweise wie Filet zu betrachten. „Hahn erfordert Handwerk. Als Koch muss man sich auf andere Gegebenheiten als die Standardware einstellen. Dann kann man auch mehr herausholen. Typischerweise – und das kann man weltweit beobachten – wurden Hühner traditionell geschmort. Aber das ist nicht das, wofür sich Hahn ausschließlich eignet.“ Zum Beweis initiierte Jaschok 2019 gemeinsam mit dem Münchner Koch Vincent Fricke ein Pop-up-Dinner mit einem Sechs-Gänge-Menü aus Hahn. Zur Vorspeise gab es Hahnenkralle, Herz und Flügel, danach Frühlingsrollen gefüllt mit Hals und Magen und einer Hahnensuppe und im Hauptgang Keule und Leber sowie Hahnenbrust in Rotweinsauce. Aktuell arbeiten Jaschok, Fricke, Sebastian Junge vom Hamburger Restaurant Wolfs Junge und die Fotografin Vivi D’Angelo an einem Buch zum Thema „gutes Huhn in der Küche, in dem es darum geht, die sensorische Qualität darzustellen. Das meiste von dem, was in Richtung Hahn passiert, sind Bruderhahn-Projekte, aber da geht es um Masse. Was fehlt, ist die Wertschätzung, der Respekt. Nach unserem Buch wird das Maishähnchen kein Qualitätsprodukt mehr sein. Wobei ich niemanden bekehren will. Die Gastro ist sehr trend-affin. Ich bin mir sicher, dass wir bei denjenigen, die was auf sich halten, die produkt- und qualitätsbezogen arbeiten, auch etwas bewirken werden.“

Hahn & Heu: Eine Kreation von Felix Schneider aus dem Nürnberger etz.
© Restaurant etz

Vorurteile ablegen
Einer, der bereits seit Jahren Hahn auf die Karte setzt, ist Sternekoch Felix Schneider. Zuletzt servierte er den Gästen seines Nürnberger Restaurants etz eine Art thailändischen Laab Gai mit Hahnenklein aus Keulenfleisch, gekochten Kämmen, Leber und Magen, das mit Zierquittensaft, Fischsauce und Kräuter gewürzt und mit frittierter Hühnerhaut, frittiertem Topinambur und Himbeerkernpulver finalisiert wurde. Für ein weiteres Gericht wurde Hahnenbrust 20 Minuten langsam auf der Hautseite gebraten, dann gewendet und für drei Sekunden auf die Fleischseite gelegt. Dazu gab es Endiviensalat, Bucheckern, Estragon, Weintrauben und eine falsche Stopflebersauce aus Hühnerfond, die mit fermentierter Sahne und Hühnerleber gebunden wurde. Die Legende vom harten, fasrigen Fleisch kann Schneider nicht nachvollziehen. „Qualität entsteht aus Rasse und Aufzucht. Wenn man ein Hochleistungslegehuhn nimmt und davon den Hahn, dann ist das natürlich Mist. Aufgrund von Fütterung, Schlachtzeitpunkt und Genetik ist das Tier in keinem Idealzustand. Unsere Hähne sind Bleu de Gauloise, also mit der Genetik des Bressehuhns. Offen gestanden sind sie deutlich aromatischer und saftiger, als die Hennen. Man muss sie aber zwei, drei Tage abhängen lassen. Generell ist Hahn ein tolles Produkt, mit dem es sich zu arbeiten lohnt – sofern man eine besondere Rasse nimmt.“