Der Pferdeflüsterer im Weinberg
Heiko Grohmann lässt das traditionelle Handwerk des Pferdepflügens in seinen Weingärten neu aufleben: Mit dem technischen Know-how von damals und dem Verantwortungsbewusstsein von heute bringt er damit Mensch, Tier und Natur in Einklang.
Unbeirrt schreitet Winnipeg nur wenige Zentimeter an den Rebstöcken entlang, geradewegs durch die kniehohe Begrünung und überhängende Ruten. „Alles eine Frage des Trainings“, sagt Heiko Grohmann, der hinter der Stute herläuft und mittels Zügel und gezielter „Hüsch!“- und „Hott“-Rufe sanft nach links oder rechts navigiert. „Jedes andere Pferd würde einen einfacheren, gemütlicheren Weg gehen; verständlicherweise.“ Doch die Nähe zu den Reben muss sein: Winnipeg zieht einen Pflug hinterher, einen sogenannten Aufhäufler, der Erde von der Mitte der Fahrgasse über den Wurzelbereich der Rebstöcke schaufelt, damit diese im bevorstehenden Winter warmgehalten werden. Je enger, aber auch je langsamer das Pferd läuft, desto genauer ist das Ergebnis. Mit dem Traktor wäre die Arbeit in dem gut 2.000 Quadratmeter großen Weingarten vermutlich in einer halben Stunde erledigt gewesen, bei Grohmann dauert sie einen Nachmittag lang – trotz Hilfe eines guten Freundes, der den Pflug führt. Allein das Anlegen des Kummets, jenem gepolsterten Ring um den Hals des Pferdes, an dem später das gesamte Gewicht des Pflugs hängen wird, sowie das Einhängen desselbigen dauert seine Zeit. „Man muss die Arbeit wollen, sonst geht es sich nicht aus.“ Und Heiko Grohmann will. Seit der ehemalige Linienpilot gemeinsam mit seiner Frau Verena, einer studierten Tierärztin, entschieden hat, Landwirt und Winzer zu werden, und sich in Gumpoldskirchen im Weinbaugebiet Thermenregion niedergelassen hat, passiert kein Handgriff ohne Rücksichtnahme auf die Natur. Ackerflächen und Weingärten werden biodynamisch bewirtschaftet und ausnahmslos per Hand und mit dem Pferd bearbeitet. Die Grohmanns orientieren sich dabei an der Lebensweise und Philosophie der Hopi-Indianer, an deren Namen angelehnt sie sich selbst „Die Hopibauern“ nennen. Den wahren Hopis zufolge sollte jedes Handeln im Einklang mit der Natur stehen. Mensch, Tier und Umwelt sind einander gleichwertig, keiner ist dem anderen übergeordnet. „Als Bauer stehst du relativ schnell vor der Frage, ob Traktor oder doch etwas anderes“, erinnert sich Heiko Grohmann. „Wir haben uns bewusst für das Pferd entschieden, weil es die Bodenverdichtung verringert. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass dieses entschleunigte Arbeiten, dieses Fokussierte, Bewusste zwischen Mensch, Tier und Pflanze energetisch etwas bewirkt. Der Weingarten spürt das.“
Schicksalsreise nach Frankreich
Seit seiner Kindheit beschäftigt sich Heiko Grohmann intensiv mit Pferden. Über Horsemanship-Kurse und die Ausbildung zum Holzrücker lernt er, die Wesenskultur der Tiere zu verstehen und durch den bewussten Einsatz von Körpersprache und Atmung mit ihnen zu arbeiten. Als klar wird, dass er seine eigenen zwei Pferde Winnipeg und Lee auch im Weingarten einsetzen möchte, reist er nach Frankreich zu Pierre Simler, der unter anderem auf die Ausbildung von Winzern am Pferd spezialisiert ist. Grohmann: „Im Unterschied zu uns haben die Franzosen nie aufgehört, mit dem Pferd zu arbeiten. Es gibt Betriebe, die seit Generationen ohne Traktor auskommen.“ Simler ist es schließlich auch, der ihm auf der Suche nach den besten Pflügen mit Bernard Michon bekannt macht. Der Franzose gilt nicht nur als Pionier des Pflugbaus, sondern ist auch bekannt dafür, seine Kunden ganz genau auszuwählen. Als er von Grohmanns Plänen einer biodynamischen Landwirtschaft mit Pferdebewirtschaftung erfährt, wird er hellhörig. „Michon ist so, wie man sich einen älteren, französischen Herrn vorstellt. Ja nichts überstürzen. Er macht seine Arbeit nicht wegen dem Geld, er ist längst in Pension. Die Pflüge baut er der Sache wegen. Ich kann mit dieser Mentalität sehr gut.“ Und Michon mit ihm. Die beiden Herren kommen ins Geschäft. Seither muss jeder, der hierzulande ebenfalls an den Franzosen ran möchte, den Weg über den Gumpoldskirchner Hopibauern gehen.
Schritt zurück in die Zukunft
Der hat sich mittlerweile ein beachtliches Repertoire unterschiedlicher Pflüge zugelegt. Zum bereits erwähnten Aufhäufler gibt es das Pendant, den Abhäufler. Durch slalomartiges Führen des Pfluges wird zu hoch gewachsenes Gras unterhalb des Rebstocks in die Mitte der Fahrgassen geschaufelt, um den Pilzbefall zu verringern. Der Zweispänner-Grubber, vor dem – nomen est omen – zwei Pferde gespannt werden, dient wiederum dem Pflanzenmanagement. Beikräuter, die flach und invasiv wachsen, werden gekappt, zudem dient der Pflug zur Einarbeitung von Gründungung und Mist. Aufgrund der Breite eignet sich das Gespann für große Flächen, für kleinere nimmt Grohmann hingegen den Handgrubber. Für die Ackerflächen besitzt er außerdem je eine Mäh- und Sähmaschine sowie einen Striegel. Geplant ist zudem die Anschaffung von speziellen Vorrichtungen, um biodynamische Präparate und den eigenen Pferdemist ausbringen zu können, sowie eine Walze zum Grasbrechen. „Im Grunde habe ich eine Vision: Wir alle sollten uns überlegen, ob es in der Landwirtschaft und im Weinbau nicht endlich etwas Neues braucht. Genaugenommen ist der Pferdepflug ein Schritt zurück – aber mit einem neuen Bewusstsein und neuen Erkenntnissen, die man vor 70 Jahren noch nicht hatte, als die Pferdearbeit selbstverständlich war. Damals ging es der Natur aber besser. Schon Rudolf Steiner sagte, dass die Gesundheit der Natur über allem stehen muss. Das Produkt ist zweitrangig. Ist die Natur gesund, wird es ohnehin gut. Ich selbst würde für eine bessere Traube, einen besseren Wein nie etwas manipulieren, bei dem es Natur, Mensch oder Tier schlecht geht.“
Handwerk erhalten
Sein Wissen und seine Erfahrung gibt Heiko Grohmann in seiner „Pferdeackerdemie“ auch an andere weitergeben. Sowohl Mensch als auch Pferd werden von ihm im Rahmen von Zugpferdetrainings angelernt. Je nach Pferdeerfahrung dauert das Training von Personen zwischen vier bis sieben Tage, „wobei hier jeder seinen eigenen Weg finden muss“, so Grohmann. „Ich kann dir zwar das technische Pflügen zeigen, aber nicht sagen, zu welcher Zeit du in den Weingarten musst. Das ist bei jedem anders.“ Wie viele Trainingseinheiten ein Pferd benötigt, ist hingegen nicht abschätzbar. Es gibt Tiere, die generell nicht als Zugpferd geeignet sind. Ein erstes Anlernen ist in der Regel mit vier Jahren möglich, ein regelmäßiges Arbeiten ab sechs Jahren. „Am meisten Sinn macht es allerdings, wenn das Pferd die Pubertät hinter sich hat, sprich mit elf Jahren. Dann ist es ausgewachsen, stabiler, gesettelter.“ Winnipeg ist jetzt sieben Jahre alt. Seit drei Jahren lebt sie bei den Hopibauern. Als die Stute nach dem Pflügen wieder im Pferdanhänger steht, kommt Heiko Grohmanns älteste Tochter Sophie auf dem Fahrrad vorbei. Sie wird von Winnipeg mit einem lauten Wiehern begrüßt. „Unsere Kinder haben eine unglaublich starke Bindung zu den Pferden. Es wäre schön, wenn sie später ebenfalls mit den Tieren arbeiten würden. Sophie hat schon jetzt das notwendige Gespür dafür.“ Sollte sie sich dafür entscheiden, würde er ihr in Frankreich die Ausbildung ermöglichen. Das Pferdepflügen ist für Heiko Grohmann unverkennbar eine Herzensangelegenheit. Genau wie sein mittlerweile guter Freund Bernard Michon macht er es aus einem einfachen Grund: Der Sache wegen.